VOC & Co: Putz- und Duftmittel schädigen die Lunge

AI-generiertes Symbolbild

2018 fand die Analyse des European Community Respiratory Health Survey ECRHS, an der die Schweiz mit der Sapaldia-Studie beteiligt war (Swiss Study on Air Pollution and Lung Disease in Adults), Eingang in die Medien wie der untenstehende Artikel im Tages-Anzeiger vom 06.03.2018.

Fazit: Die Lungenfunktion von Menschen, d.h. in der Praxis v.a. Frauen, die regelmässig mit Reinigungsmitteln hantieren, verschlechtert sich erheblich. Höchste Zeit also, einen der Gründe dafür näher zu beleuchten:

Flüchtige organische Verbindungen (VOC)

Eine wichtige Komponente, die insbesondere in Innenräumen die Luftqualität beeinträchtigt, sind nebst (lungengängigem) Feinstaub (Englisch: particulate matter PM) auch flüchtige organische Verbindungen (Englisch: volatile organic compounds VOC), die oft aus einer Mischung chemisch unterschiedlicher Bestandteile bestehen. VOC besitzen einen hohen Dampfdruck, das heisst, sie treten bei Zimmertemperatur leicht von einem flüssigen in einen gasförmigen Zustand über (z.B. Alkohol – umgangssprachlich für Ethanol).

„Flüchtige organische Verbindungen (VOC) […] sind organische Verbindungen mit einem Dampfdruck von mindestens 0,1 mbar bei 20° C oder mit einem Siedepunkt von höchstens 240° C bei 1013,25 mbar.“

Quelle: Schweizerische Eidgenossenschaft, Eidgenössisches Finanzdepartement, Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG: Lenkungsabgaben, Richtlinie 67, Lenkungsabgaben auf flüchtigen organischen Verbindungen (VOC)

Flüchtige organische Verbindungen (VOC) in der Innenluft
Flüchtige organische Verbindungen (VOC) sind Schadstoffe, die häufig in Farben, Lacken und Reinigungsmitteln vorkommen. Da sie rasch verdunsten, sind sie besonders in geschlossenen Räumen ein Gesundheitsrisiko.“

Quelle: https://www.lungenliga.ch/gesunde-lunge/lungengesundheit/gesund-wohnen#wohngifte

Es gibt zwar auch natürliche Quellen von VOC, welche die Raumluft belasten, wie Bakterien und Schimmelpilze oder Ausdünstungen von Mensch und Tier.

Im Fokus dieses Beitrags steht jedoch die in der Raumluft meist vorherrschende, von Menschen verursachte Freisetzung chemisch produzierter flüchtiger organischer Verbindungen durch die Verwendung von Lösungsmitteln, die in folgenden Produkten enthalten sind:

  • in Wohn- und Schlafzimmern: von Raumluftsprays (Raumdesodorierungsmittel, auch nicht parfümiert, auch mit desinfizierenden Eigenschaften), Textilerfrischer über Teppiche, Farben, Klebstoffen, Möbel, Fussböden bis zu ätherischen Ölen, Duftkerzen und Duftstäbchen, Räucherstäbchen, Tabakrauch, auch Dampf von E-Zigaretten
  • im Bad: von Putzmitteln, Desinfektionsmitteln bis Körperpflegeprodukte (Seifen, Haarwaschmittel, Rasierwasser, Körperdesodorierungsmittel, Antitranspirationsmittel, Enthaarungsmittel), Kosmetika (Lippenschminke, Augenschminke, Haarlack), Toilettenwasser und Parfüm
  • in Waschmaschine, Tumbler und Trocknungsraum: von Waschmitteln und Weichspülern
  • in der Küche: von Putzmitteln, Scheuermitteln bis zum Dampf, der beim Kochen, Backen und Frittieren entsteht
  • in Lagerräumen: von Farben, Lösungsmitteln, Karosseriepoliermitteln und Gefrierschutzmitteln über Schmiermittel bis zu Schädlingsbekämpfungsmitteln und Unkrautvernichtern

Üblicherweise werden in Innenräumen u.a. folgende VOC vorgefunden:

  • Azeton – in Möbel- und Fussbodenpolitur, Nagellackentferner, Tapeten
  • Benzol – in Farben, Klebstoffen, Teppichen, Autoabgasen, Zigarettenrauch
  • Butanal – entsteht bei Verbrennungsvorgängen am Kochherd, beim Grillieren, beim Abbrennen von Kerzen und Zigaretten
  • Ethanol – in Waschpulver, Geschirrspülmittel, Glasreiniger
  • Formaldehyd – in Klebstoffen, Klebebändern, Kunststoffteilen, Dämmstoffen
  • Xylol – in Autoabgasen

VOC-Messwerte die zeigen, wie eine einzige Anwendung eines Pump-Haarsprays in einer (belüfteten) Wohnung zu einer erheblichen Belastung über 5 Stunden führt. © Atemluft.net

VOC bedrohen die Gesundheit so lange nicht signifikant, als man die VOC-haltigen Produkte gemäss Gebrauchsanweisung bei ausreichender Belüftung verwendet. Während das Arbeitsgesetz gemäss Verordnung 3 (ArGV 3, Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz) Vorgaben zu maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen (MAK-Wert) von gas-, dampf- oder staubförmigen Arbeitsstoffen in der Luft macht, gibt es in der Schweiz keine rechtliche Grundlage, die den Bereich Schadstoffe in der Innenraumluft von Wohnhäusern umfassend normiert, obwohl sich Menschen dort mitunter viel länger aufhalten.
Quelle: Schweizerischer Verein Luft- und WasserhygieneRechtliche Grundlagen für Raumluftqualität und Schadstoffe in der Innenraumluft

Denn bei der Verwendung von VOC-haltigen Produkten in Innenräumen können sich hohe VOC-Konzentrationen bilden, die Augen, Nase und Hals reizen, Hustenreiz auslösen sowie Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gedächtnisverlust, Schwindel und Übelkeit bewirken bis langfristig zum Verursachen von Entzündungsreaktionen und Einschränkungen der Lungenfunktion und zur Schädigung von Nervensystem, Nieren und Leber – Symptome, die von der Medizin als Sick Building Syndrom SBS bezeichnet werden. Gemäss Forschungsstudien sorgen Luftschadstoffe in Innenräumen wie lungengängiger Feinstaub und VOC auch für ein erhöhtes Krebsrisiko.
Quelle: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/pdfs/TVOC.pdf

Baumaterialen (wie z.B. Holz, Klebstoffe, Bodenbelag, Zement, Mörtel, Beton) können VOC abgeben, mittlerweile unterstehen viele davon gesetzlichen Bestimmungen. Als weitaus massivere Quelle von VOC gelten Putzmittel, Körperpflegeprodukte, Lacke und Farben. Im britischen Chief Medical Officer’s Annual Report 2022 über Luftverschmutzung zeigt eine Berechnung, dass die Menge aller VOC-Emissionen im Haushalt durch den Gebrauch von Sprühdosen (Deodorants, Raumspray usw.) gleich gross ist wie die des gesamten Strassenverkehrs in ganz England (auch Treibstoff beinhaltet VOC)! Eine darin zitierte Studie über die Luftqualität in Innenräumen untersuchte 60 Häuser in Kent und fand heraus, dass die VOC-Konzentration der Innenluft im Durchschnitt 1,5- bis viermal so hoch war wie ausserhalb der Häuser – mit den grössten Unterschieden während der Heizperiode im Winter.
Quelle: Chief Medical Officer’s Annual Report 2022 – Air pollution

Viele dieser VOC-haltigen Haushaltsprodukte werden so vermarktet, als ob sie auf „natürliche“ Art und Weise (z.B. mit Wald-, Wiesen-, Blütenduft oder Meeresbrise) Innenräume „erfrischen“ würden, obwohl sie lediglich die Menge an Luftschadstoffen beträchtlich erhöhen. Auch hierzulande sind Hersteller nicht verpflichtet, auf ihren Produkten darauf hinzuweisen, dass und wie viel VOC diese enthalten. Die Britische Regierung stellte im Rahmen ihrer Clean Air Strategy 2022 eine (freiwillige) Kennzeichnungspflicht in Aussicht, die bis dato noch nicht realisiert wurde.

Die Schweiz kennt zwar seit 1997 eine Lenkungsabgabe auf flüchtige organische Verbindungen, mit der Unternehmen, die VOC herstellen, verwenden oder in Verkehr bringen, veranlasst werden sollen, weniger davon in die Umwelt abzugeben und Abluftreinigungsanlagen einzubauen, vor allem weil VOC als Vorläufersubstanzen massgeblich für die Bildung von bodennahem Ozon verantwortlich sind. Die Einnahmen aus den Lenkungsabgaben werden über die Krankenversicherer an alle Einwohner/-innen der Schweiz verteilt, beziehungsweise anteilsmässig von der Prämienrechnung abgezogen. Konsument/-innen werden aber weiterhin nicht darüber informiert, welche Produkte wie viele VOC beinhalten, eine Kennzeichnungspflicht existiert nicht – Gesundheit lässt sich nicht mit Geld kaufen.

Für die Luftqualität in Innenräumen ist nicht nur die Belüftung entscheidend, deren Effektivität auch massgeblich von der Bauweise des Gebäudes abhängig ist, sondern im Zentrum steht das Verhalten der Bewohner/-innen. Wer die Luftqualität in seinen Innenräumen selbst steuern will, verzichtet auf Produkte, die VOC enthalten, oder wechselt zu Produkten, die weniger VOC enthalten (in Deutschland sind lösungsmittelarme Farben, Lacke, Klebstoffe, Reinigungs- und Putzmittel mit dem „Blauen Engel“ gekennzeichnet), und macht seine Mitbewohner/-innen darauf aufmerksam, dass gewisse Reinigungs- und Körperpflegeprodukte z.T. massive Quellen für Luftverschadstoffe darstellen, die via Lüften oft auch in anderen Wohnungen die Luftqualität erheblich beinträchtigen (Stichwort “hausgemachte” Luftschadstoffe).

Schreibe einen Kommentar